Postulat Fraktion SP (Benno Frauchiger/Halua Pinto de Magalhães, SP):

Leitungsgebundene Umweltwärme - ein Anergienetz für Bern

Wärmepumpen nutzen Umweltwärme aus der Luft, aus dem Boden oder aus dem Grundwasser für die Wärmeerzeugung. Sie werden mit Strom betrieben und produzieren effizient und emissionsfrei Wärme und leisten somit einen wichtigen Beitrag zu einer Wärmeversorgung frei von fossilen Energie­trägern. Der Anteil der Wärmepumpen am Heizungsmarkt hat sich in der Schweiz von 1990 bis 2012 von 1,9% auf 10,0% mehr als verfünffacht, bei rund 70% der Neubauten werden heute Wärmepumpen installiert [1].


Die Erschliessung der Umweltwärme über Erdsonden kann aber insbesondere bei bestehenden Bauten kostspielig oder an gewissen Standorten (Grundwassergebiete) gar unmöglich sein.  Bei Gebäuden mit geringem Heizenergiebedarf werden zunehmend auch kostengünstigere, aber weniger effiziente Luft-Wasser oder Luft-Luft Systeme eingesetzt. Bei grossem Leistungsbedarf oder in dicht überbauten Gebieten sind allerdings auch solche Anlagen oftmals nicht realisierbar.

 

Wo die Umweltwärme aus der unmittelbaren Umgebung nicht genutzt werden kann und wo keine Möglichkeit für einen hochtemperaturigen Fernwärmeanschluss besteht, bleiben heute kaum Alternativen zu fossilen Gas- oder Ölheizungen.

 

Dabei wäre es möglich, die Stadt Bern langfristig effizient und ohne fossile Energieträger mit Wärme zu versorgen, vorausgesetzt dass allen Liegenschaften Zugang zu nutzbarer Umweltwärme verschafft wird. Dort, wo Wärme nicht in der erforder­lichen Leistung der unmittelbaren Umgebung entzogen werden kann, könnte mit einem Verteilnetz für Um­welt­wärme (kaltes Fernwärmenetz, bzw. Anergienetz) ein solcher Zugang verschafft werden.

 

Verschiedene Gemeinden haben dies erkannt, so dass zunehmend öffentliche Anergie­netze realisiert werden:

  • Die Gemeinden Visp (seit 2008), Naters (seit 2012) und Brig-Glis (seit 2013) betreiben Anergienetze welche mit Energie aus Abwärme und aus Fliessgewässer (Visp), beziehungsweise aus Grundwasser (Naters, Brig) gespiesen werden, und ermöglichen so die effiziente Nutzung von Umweltwärme gerade auch im Innenstadtbereich (Brig).
  • Die SIG in Genf versorgt seit 2010 das "Quartier des Nations" mit Seewasser zu Heiz- und Kühl­zwecken (Projekt Genève Lac Nations). Ein weiteres öffentliches, mit Seewasser gespeistes Anergie­netz (GeniLac) für den Innenstadtbereich bis zum Flughafen Genf ist in Planung.
  • Die Groupe E baut in La Tour-de-Peilz bis 2019 ein flächendeckendes Anergienetz (bei 5°C), wel­ches die Wärme aus dem Genfersee bezieht. 2014 wird die erste Etappe in Betrieb genommen. Bis 2034 sollen 300 Liegenschaften mit Wärmepumpen daran angeschlossen werden.
  • Die Wärme Frauenfeld AG baut zurzeit ein städtisches kaltes Fernwärmenetz, welches mit der Abwärme der ARA auf 8°C temperiert wird. Dieses dient ab Winter 2014/15 als Wärmequelle für Wärmepumpen, welche insbe­son­dere die städtischen und kantonalen Liegenschaften mit Wärme versorgen. Auch die ARA Bern nutzt bereits einen Teil ihrer Abwärme für ein Anergienetz in Bremgarten.
  • Die ETH Zürich baut für die Science City (Campus Hönggerberg) ein Anergienetz mit geotherm­ischer Wärmespeicherung (erste Etappe seit 2012 in Betrieb), welches dereinst auch die umlie­genden Quartiere versorgen könnte.
  • Der demnächst verabschiedete Energierichtplan der Stadt Bern sieht etliche Massnahmen für die Nutzung von niederwertiger Abwärme, Grundwasserwärme oder Erdsonden in lokalen Nahwärme­verbünden vor (Massnahmen 17-21, 23-25 und 28-34). Einzelne niedertemperaturige Nahwärme­verbünde könnten dabei die Basis für ausbaubare öffentliche Anergienetze bilden.

Es ist davon auszugehen, dass im Sinne Art. 2 des kantonalen Energiegesetzes gleichermassen oder noch viel mehr ein öffent­liches Interesse für eine leitungsgebundene Versorgung mit Umweltwärme besteht, wie dies heute für die leitungsgebundene Versorgung mit fossilem Gas anerkannt wird. Ziel müsste es sein, dass in Zukunft ebenso selbstverständlich Wärmepumpen an ein öffent­liches Anergienetz angeschlossen werden können, wie heute Gasbrenner an das Gasver­sorgungs­netz angeschlossen werden.


Dies umso mehr, als die Erfahrungen mit der tiefen Geothermie in Basel, Zürich und St. Gallen wenig zuver­sicht­lich stimmen, dass die heisse Fernwärmeversorgung in Zukunft ohne Rückgriff auf fossile Energieträger gewährleistet oder gar ausge­baut werden kann. Anergienetze bieten eine kosten­günstige, ökologische und technisch erprobte Alternative zum Ausbau des heissen Fern­wär­me­netzes. Mit diversen Abwärmenutzungen, Grund­- und Fliesswas­ser­wärme und kommunalen Erdsonden­feldern könnte die notwendige Energie für die Anergienetze bereitgestellt werden.


Anergienetze zur Verteilung von Umweltwärme haben ausserdem einige entscheidende Vorteile:

  • Die Infrastruktur- und Betriebskosten und die Verteilverluste sind im Vergleich zu heissen Fern­wärmenetzen gering.
  • Die Temperatur wird mittels Wärmepumpen dezentral und nur auf das jeweils erforderliche Niveau angehoben. Gerade bei Gebäudesanierungen mit unterschiedlichen Temperatur­anforderungen können dadurch Exergieverluste vermieden und entsprechend bessere Gesamtwirkungsgrade erzielt werden.
  • Anergienetze können auch zu Kühlzwecken verwendet werden, zum Beispiel von Serverräumen. Dies reduziert den Energieaufwand bei der Kühlung, und die dabei anfallende Abwärme kann andernorts wiederverwendet werden, da sie nicht an die Atmosphäre verloren geht.

Wir sind der Überzeugung, dass Anergienetze der Schlüssel für eine erfolgreiche Energiewende im Wärmebereich ist. Im Interesse einer ökologischen und energieeffizienten Wärmeproduktion in der Stadt Bern bitten wir deshalb den Gemeinderat folgende Fragen zu prüfen:

  1. In welchem Umfang und in welchem Zeithorizont leitungsgebundene Umwelt­wärme in Zukunft zur Grundver­sorgung der Stadt Bern gehört, insbesondere für Liegen­schaf­ten, bei denen Umweltwärme nicht oder nicht mit zumutbarem Aufwand vor Ort erschlossen werden kann;
  2. Welche Gebiete der Stadt Bern, welche Wärmequellen und welche gemäss Energierichtplan bestehenden oder geplanten Nahwärmeverbunde sich für den Aufbau öffentlicher Anergie­netze eignen;
  3. Welche zonenrechtlichen Bedingungen erfüllt sein müssen für kommunale Erdsonden­felder als mögliche Wärmequellen öffentlicher Anergienetze, und welche Gebiete, insbesondere welche städtischen Grundstücke für solche Erdsondenfelder denkbar sind;
  4. Welches Interesse bei der EWB besteht, in Zukunft neben dem heissen Fernwärmenetz auch ein oder mehrere öffentliche Anergienetze in der Stadt Bern zu betreiben, und ob es andere Energieversorgungs­unternehmen gibt, welche ebenfalls Interesse am Betrieb eines öffentlichen Anergienetzes in der Stadt Bern hätten;
  5. In welchem Umfang die Stiftung KliK (Klimarappen) oder andere Körperschaften sich am Aufbau öffentlicher Anergienetze in der Stadt Bern beteiligen würden.

Bern, 24. April 2014


[1]  Gebäude- und Wohnungsstatistik 2012, BFS


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